Das heutige Evangelium ist ein Klassiker, eines der bekanntesten Gleichnisse von Jesus – und die Erklärung dazu ist sogar mit in der Bibel abgedruckt, so dass eine Predigt dazu fast überflüssig erscheint. Das würde so stimmen, würden wir nicht in einer komplett anderen Wirklichkeit leben, als Jesus und seine Zeitgenossen und Zeitgenössinnen.

Im Lukasevangelium, Kapitel 8 lesen wir:

„Eine große Volksmenge versammelte sich um Jesus, und aus allen Orten strömten die Leute zu ihm. Da erzählte er ihnen ein Gleichnis: „Ein Bauer ging aufs Feld, um seine Saat auszusäen. Während er die Körner auswarf, fiel ein Teil davon auf den Weg. Die Körner wurden zertreten, und die Vögel pickten sie auf. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden. Die Körner gingen auf und vertrockneten schnell wieder, weil sie keine Feuchtigkeit hatten. Ein weiterer Teil feil zwischen die Disteln. Die Disteln gingen mit auf uns erstickten die junge Saat. Aber ein anderer Teil fiel auf guten Boden. Die Körner gingen auf und brachten hundertfachen Ertrag.“ Dann rief Jesus noch: Wer Ohren zum Hören hat, soll gut zuhören.“ (Übersetzung nach der Basis Bibel)

Weil die Zuhörerschaft mit diesem Gleichnis nichts anfangen konnte, erklärte ihnen Jesus, worum es geht. Die Samen sind Gottes Wort und die verschiedenen Böden zeigen, wie Menschen in unterschiedlichen Situationen und mit unterschiedlichen Einstellungen Gottes Wort aufnehmen. Manche sind begeistert, vergessen es aber bald wieder, manche sind dagegen völlig abgehärtet und weisen es ab, und manche hören nicht nur zu, sondern lassen Gottes Wort in sich auch wachsen und gestalten ihr Leben dementsprechend. Der Sämann im Gleichnis ist ziemlich gedankenlos, er wirft die Samen überall hin, er will nicht vorher schon Entscheidungen treffen, sondern gibt jedem Boden eine Chance – also jedem Menschen, egal wie seine Einstellung ist.

In einer Zeit, wo alle Menschen ohne Ausnahme jeden Samstag in die Synagoge gingen um Gottes Wort zu hören, und in einer religiösen Tradition, wo wie im Judentum der ganze Alltag und die Festtage ganz besonders vom Gottes Wort durchdringt waren, passt dieses Gleichnis perfekt zur Realität. Jeder hört Gottes Wort, die Frage ist, wie er es aufnimmt und was er damit macht. Die Welt war auch damals nicht perfekt, der Großteil der ZuhörerInnen hat auch damals weiter so gelebt, als wäre nichts passiert, aber es gab einige Wenige, die das Wort aufgenommen haben und ihr Leben dementsprechend gelebt haben. Diese Minderheit hat dann so viele Früchte getragen, dass davon auch alle anderen profitiert haben.

Heute ist die Situation ein wenig anders. Gottes Wort spielt im Leben von den meisten Menschen keine Rolle mehr. Im Religionsunterricht ist es wirklich auffallend: biblische Geschichten, aus denen kein Disney-Film gemacht wurde, sind 99 % der Kinder nicht bekannt. Auch unter Erwachsenen gilt es oft: die Bibel ist veraltet, sie ist voll von Fehlern. Es fängt direkt auf der ersten Seite an, kein Mensch kann wirklich noch glauben, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Weiter zu lesen lohnt sich gar nicht mehr.

Ich stimme zu, wenn jemand die Bibel so lesen will, wie einen Roman oder oder gar wie Ratgeberliteratur, der wird sie schnell weglegen. Die Bibel ist zwar ein tolles Buch und kann sehr inspirierend für das Leben sein, aber billig gibt sie sich nicht. Es ist auch nicht so, dass Gottes Wort und die Bibel ganz deckungsgleich sind. Das Christentum ist keine Buchreligion, wir glauben nicht an die Bibel, sondern an Gott, der (und die!) sich in den Geschichten der Bibel aber auch im Alltag entdecken lässt. Die Bibel zu lesen ist also deshalb hilfreich: in diesen Geschichten haben schon recht viele Menschen im Laufe der Geschichte Gott entdecken können. Aber ganz sicher ist nicht jedes einzelne Wort des Textes gleich hilfreich bei dieser Entdeckungsreise.

Wir, Evangelische, haben traditionell gesehen eine Zuneigung zur Bibel. Für Martin Luther war es eine Herzensangelegenheit, dass sogar die einfachsten Menschen die Bibel selber lesen können – aus dem einfachen Grund, wer lesen kann, schluckt nicht jeden Blödsinn. Wer bis zur Quelle gehen kann, tut nicht alles, was einem von oben gesagt wird. Wer denkt, der ist frei. Und so hat er die Bibel ins Deutsche übersetzt und gleichzeitig angefangen, Bildung für das einfache Volk zu ermöglichen. Bildung, Lesen und Denken ist seitdem ein Herzstück des protestantischen Glaubens und Lebens. In der Zeit der Gegenreformation hat es sogar bedeutet, dass evangelische Familien heimlich einander das Lesen beigebracht haben – obwohl lesen zu können und eine Bibel zu besitzen lange Zeit in Österreich verboten war.

Gottes Wort – versteckt in den Wörtern und Sätzen der Bibel – und das fleischgewordene Wort, Jesus warten darauf, wieder entdeckt zu werden. Jetzt sät vielleicht der Sämann nicht so reichlich wie zur Zeit Jesu. Heute müssen wir selber die Gelegenheiten suchen und gehen nicht in die Kirche oder lesen die Bibel, weil es alle tun und wir keine AussenseiterInnen sein wollen. Aber wer sucht, sich öffnet und auch mal anstrengt, findet genauso wie früher viel geistliche Nahrung in der Bibel und kann daraus wachsen und viele Früchte bringen.

Der letzte Satz klingt so schön und würde ein geeigneter Schluss für eine Predigt. Es wäre aber nicht fair, es bei dem schön klingenden Satz zu lassen. Wer nicht gewohnt ist, auf diese Suche zu gehen, wer keine Zeit fürs Bibellesen und Nachdenken in seinem Tagesablauf hat, kann damit wenig anfangen. So werden in den nächsten Wochen bis Ostern regelmäßig hier, im Blog Ideen und Tipps veröffentlicht, wie wir als (Neu)EinsteigerInnen die Bibel neu entdecken können. Schauen Sie sich heute zu Hause um, ob und wo Sie eine Bibel haben und legen Sie die Bibel auf den Sofatisch oder auf einen leicht erreichbaren Ort. Und schauen Sie in den nächsten Wochen immer wieder hier vorbei für Tipps rund um das Bibellesen. Wer weiß, vielleicht passieren dann große Dinge, wie im Garten, wo aus einem kleinen Samen eine schöne Pflanze wächst.

 

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