Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm. Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde. Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden. (Lukas 2,25-35)
Liebe Gemeinde,
oft denken Menschen, dass die Zeitgenossen von Jesus es leichter hätten, an ihn zu glauben, als wir. Wenn man selber unter den 5000 ist, die mit einigen Broten und Fischen gesättigt wurden, glaubt man leichter, als wir, die darüber nur lesen können. Und wenn man selber im Boot ist, wenn Jesus plötzlich den Sturm stillt, hat man keine Zweifel mehr.
Doch, sicherlich hatten auch die Zeitgenossen ihre Herausforderungen gehabt. Vieles sieht, deutet und versteht man ja erst im Nachhinein. In der Situation selbst ist alles noch nicht so klar, ein Sinn ist nicht erkennbar.
Einige Menschen haben aber auch damals schon eine Ahnung des Herzens gehabt, ein Vorgefühl. Sie haben auf ihre innere Stimme gehört, auf das Auge, das auch das Verborgene sieht.
So ein Mensch war in der Weihnachtsgeschichte auch Josef, der Vater von Jesus. Diese Rolle wird ihm in der kirchlichen Tradition oft bestritten, weil ja Gott der wahre Vater von Jesus ist. Aber wir wissen schon, Vater ist der, der für das Kind da ist, auch wenn er nicht der biologische Vater ist. Vater zu sein ist mehr als Biologie, es ist eine Entscheidung des Herzens. Josef hätte auch anders entscheiden können, und viele Männer zu seiner Zeit hätten anders entschieden. Josef war aber ein warmherziger Mensch und wollte Maria nicht im Stich lassen und beschämen. Zu der Zeit hat Josef noch nicht wirklich gewusst, dass er seinen Namen in dieser Weise in die Geschichte einträgt. Er hat Jesus als sein eigenes Kind großgezogen, weil er auf sein Herz gehört hat – oder auf die Engelsstimme – was aber ungefähr das gleiche ist.
Auch die Weisen aus dem Orient – auch Dreikönige genannt – haben auf die Stimme des Herzens gehört. Sie wollten ursprünglich ihren Besuch bei Jesus auf der diplomatischen Ebene ansiedeln. Sie sind gleich zum König Herodes gegangen. Sie hätten sicherlich große Belohnung bekommen, hätten sie den Aufenthaltsort von dem kleinen Jesus dem König verraten. Doch, sie hatten eine Ahnung, dass sie damit dem Kind schaden. Die Ahnung kam auch von einer inneren Stimme von einem Traum. Sie haben rein rational gesehen keine Gewissheit gehabt, aber sie haben auf diese leise Ahnung in sich gehört und damit ermöglicht, dass Jesus und seine Familie Herodes entkommen konnten.
Und dann war noch ein alter, frommer Mann, der Simeon, dessen Lobgesang das heutige Evangelium ist. Er sieht ein neugeborenes Kind und er weiß ganz genau: der Moment ist der Höhepunkt seines Lebens. Darauf hat er das ganze Leben lang gewartet, auch wenn es ihm vielleicht gar nicht klar war, worauf er wartet. Seine Augen sind aufgegangen, das Gefühl, dass jetzt was Großartiges passiert, war überwältigend.
Josef, die drei Weisen und Simeon haben eines gemeinsam: sie haben die ganze Lebensgeschichte von Jesus und seine Wundertaten nicht gekannt, und trotzdem haben sie in dem konkreten Augenblick begriffen, dass sie in Jesus jemanden Großartigen begegnen. Sie haben keine Gewissheit der Vernunft gehabt, aber die Gewissheit des Herzens. Sie haben das Wesentliche erkannt. Gottes Geist hat ihnen etwas gezeigt, was andere noch nicht gesehen haben.
Wir wissen schon, wie die Geschichte von Jesus ausging, so gesehen hätten wir es leichter an ihn zu glauben.
Aber was ändert dieses Wissen an unserem Leben? Können wir wie Josef und die Weisen und Simeon auch mit unseren inneren Augen sehen? Können wir auf unsere innere Stimme hören, wenn wir mitten in unserer Lebensgeschichte sind?
Wenn es uns gelingt, auf unser Herz zu hören, dann sind wir barmherzig, wie Josef.
Wenn es uns gelingt, auf unsere innere Stimme zu hören, dann können wir auch auf Vorteile verzichten, wenn dieser Verzicht jemanden schützt – wie die drei Weisen aus dem Orient.
Und wenn es uns gelingt, ein waches Auge zu haben, dann erkennen wir in den Menschen ihre Würde, ihr Potential, auch wenn es noch versteckt ist – ganz wie Simeon.
Ich denke, wer in diesen Wochen die Nachrichten gelesen und gehört hat, kann nicht überhören, dass diese Qualitäten, Barmherzigkeit, Verzicht auch Vorteile und das Anerkennen von Würde und Potential der Mitmenschen auch politisch gemeint sind. Und selig sind diejenige, die die religiösen Erkenntnisse nicht in der Kirchenbank liegen lassen, sondern sie auch in ihre Alltagsentscheidungen einfließen lassen, weil so wird die Erde ein Ort der Menschlichkeit werden.
Frohe Weihnachtszeit wünscht
Ihre Pfarrerin Adél Dávid