Es gibt in der Welt der Filme den sogenannten Bechdel-Test, mit dem man beurteilen kann, ob ein Film Frauen angemessen, also gleichberechtigt darstellt. In diesem Test werden drei Fragen gestellt:

  • Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
  • Sprechen sie miteinander?
  • Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?

Wenn wir die Bibel mit diesen drei Fragen konfrontieren, müssen wir leider zugeben, dass diese Sammlung von Schriften leider nur an wenigen Punkten den Test besteht. Selbstverständlich kann von einem sehr alten Werk die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter nicht verlangt werden, aber es ist wichtig uns bewusst zu machen, dass das einflussreichste Buch des Christentums auch nicht perfekt ist – zumindest was die Gendergerechtigkeit betrifft.

Doch, es gibt ein Buch, das zweifelslos den Bechdel-Test besteht, das Buch Ruth. Ruth und Naomi sind die beiden Protagonistinnen, und auch eine dritte Frau, Orpa. Naomi ist die Schwiegermutter, Orpa und Ruth sind ihre Schwiegertöchter. Nach dem Tod aller Männer in der Familie müssen die drei Frauen ihre Zukunft gestalten. In einer weitgehend patriarchalen Welt, wo Witwe zu sein Armut bedeutet, ist es gar nichts so einfach. Doch diese Frauen treffen souveräne Entscheidungen.

Orpa entscheidet, dort weiter zu leben, wo sie auch mit ihrem Mann und der Großfamilie gelebt hat, in Moab. Sie setzt sich in der Zukunft allein durch. Naomi entschiedet sich in ihre Heimat zurückzukehren, ins Land Juda, das sie viele Jahre früher, während einer Hungersnot als Wirtschaftsflüchtling verlassen hat. Und Rut, ursprünglich aus Moab stammend, trifft die Entscheidung, ihre Schwiegermutter zu begleiten – damit nimmt sie die Rolle der „Fremden“ auf sich, wenn es nicht genug wäre „Frau“ und noch dazu „Witwe“ zu sein.

Diese Frauen nehmen ihr eigenes Leben in die Hand. Sie brauchen – wie die Welt damals war – auch wohlwollende Männer, die sie unterstützen, aber sie übernehmen Verantwortung. Wahrscheinlich waren sie damit nicht allein, bloß über starke Frauen berichtet die Bibel und die Geschichtsschreibung eher selten und dann nur betont als Ausnahme. Es war ja nicht im Interesse eines patriarchalen Systems Frauen Lorbeeren zu verteilen.

Im Buch Ruth kommt übrigens Gott gar nicht vor, insofern kann man sich schon fragen, wieso diese Geschichte überhaupt in der Bibel ist. Die Antwort ist: Ruth ist die Urgroßmutter vom König David und damit auch Vorfahren von Jesus. Ruth, die Witwe, die Fremde, die Ausgestoßene spielt eine Schlüsselrolle in der jüdischen Geschichte und in der Geschichte von Jesus. Gottes Geschichte kommt nicht ohne unterdrückte, in Armut lebende Menschen aus. Gottes Geschichte ist keine Geschichte von Edelsfamilien mit „von“ und „zu“ im Namen. Und genau deshalb ist es bis heute unsere Pflicht, alle Menschen, Arme und Reiche, Frauen und Männer, In- und Ausländer mit Respekt zu begegnen. Wer weiß, welche Rolle er oder sie in der großen Geschichte der Menschheit spielen wird?

Wer Lust bekommen hat, die Geschichte von Ruth gleich zu lesen, findet sie hier, und hier gibt es das Buch Ruth mit Playmobil erzählt. Und ein ausführliches Fachbuch von Jutta Hausmann über Ruth finden Sie hier.

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