Welches Buch würdest Du auf eine verlassene Insel mitnehmen? Die Frage kann ich ganz ohne Zögern beantworten: die Bibel. Und nein, nicht weil es sich als Pfarrerin so gehört. Ich würde die Bibel wählen, weil sie zwar wie ein Buch aussieht, tatsächlich aber 66 Bücher umfasst. Darunter sind von der Gattung her ganz unterschiedliche Schriften: Märchen, Gebete, Erzählungen, Parabel, Aphorismen, gesellschaftspolitische Reden, sogar Liebesgedichte. Je nach Lust und Laune findet man sicherlich was Passendes zum Lesen. Noch dazu ist der Umfang recht groß – bis man einmal durch ist, hat man schon Einiges wieder vergessen und das Lesen wird nie langweilig. Der Text ist auch vielschichtig genug, so dass man jedes mal was Neues entdecken kann – genauso wie bei einem wirklich guten Film.
Am Anfang meines Theologiestudiums hat ein Professor in seiner Vorlesung einen Bibelleseplan verteilt. Wenn man 3-4 Kapiteln täglich aus der Bibel liest, ist man in zwei Semestern durch – hat er gesagt. Und obwohl diese Art von „Durchlesen“ keine Pflicht fürs Studium war, haben sich fast alle im Jahrgang auf dieses Abendteuer eingelassen. Es hat eine ganz andere Wirkung, nicht nur kleine Ausschnitte aus der Bibel zu lesen, wie in einem Gottesdienst oder wie beim Lesen der Losungen, sondern mehrere Kapitel in einem Stück. Die Erzählungen nehmen einen schwungvoll mit, vor allem die großen geschichtlichen Erzählungen des Alten Testaments und die Evangelien.
Einige Jahre später hat mir jemand einen ganz anderen Zugang zur Bibel gezeigt. Hier geht man mit Minischritten vor und lässt auf einmal nur einen Satz oder vielleicht nur einzelne Wörter auf sich wirken. Dieses Wort oder diesen Satz trägt man dann den ganzen Tag mit sich und vertieft sich drin im Laufe des Tages.
In den letzten Jahren ist das sogenannte „Bibel Journaling“ verbreitet. Hier genügt man sich nicht mit dem Nachdenken, sondern gestaltet, zeichnet, malt und klebt zu einem Bibeltext. Dabei liegt die Betonung nicht auf künstlerische Qualitäten, es braucht keine Begabung und das Ergebnis muss nicht vorzeigbar sein. Das Tun, die Bilder und Farben lassen aber einen anderen, manchmal tieferen Zugang zu der Bibel, als das reine Nachdenken.
Es gibt noch so viele andere Wege, wie man die Bibel kennenlernen und für sich entdecken kann! Wozu haben Sie in diesem Moment am meisten Lust? Auf das Kennenlernen von größeren Zusammenhängen? Oder lieber auf die Vertiefung von einigen wenigen Sätzen und Sprüchen? Finden Sie es heraus, indem Sie beides erstmal ausprobieren.
Das sogenannte „fortlaufende Lesen“ oder lectio continua können Sie zum Beispiel am Markusevangelium ausprobieren. Dieses Evangelium ist das kürzeste und im Mittelpunkt steht die Passionsgeschichte von Jesus – so eignet es sich sehr gut für die bevorstehende Passionszeit. Setzen Sie sich bequem hin und nehmen Sie mal eine halbe-dreiviertel Stunde ohne Unterbrechung zum Lesen. Wie fühlt es sich an, die Geschichten in ihrem breiteren Zusammenhang zu lesen?
Das „Bibelkauen“, also die Vertiefung in einem Satz oder einem Wort können Sie zum Beispiel mit Ihrem Taufspruch – ist auf dem Taufschein abgedruckt – oder mit der Jahreslosung ausprobieren. Was sind Ihre ersten Gedanken, Assoziationen zu diesem Satz? Welches Wort ist das Wichtigste für Sie in diesem Moment? Verweilen Sie einige Minuten bei dem Satz und lernen Sie ihn auswendig. Kommen Sie in den nächsten Stunden zu dem Satz gedanklich zurück. Kommen da neue Gedanken? Suchen Sie Verbindungen zwischen ihrem Alltag und dem „gekauten“ Satz! Vor dem Schlafengehen können Sie noch einmal zu Ihrem Satz zurückkommen. Was nehmen Sie aus diesem Satz mit? Was ist Ihnen wichtig geworden?
In den nächsten Tagen können Sie beide Wege ausprobieren und bei dem Weg, der sich gerade besser anfühlt, bleiben. Es ist gut, regelmäßig Zeit mit der Bibel zu verbringen, aber jede einzelne Gelegenheit ist wertvoll, auch wenn daraus keine feste Routine im Tagesablauf wird. Man kann nichts falsch machen, daher gilt es: einfach mal probieren!
Foto: Wodicka