In der Krippe liegt ein neugeborenes Baby – für uns in 2020 ist es keine Überraschung, wir rechnen damit und können uns Weihnachten gar nicht anders vorstellen. Wenn wir uns aber kurz in die Rolle der Hirten und drei Weisen schlüpfen, dann fühlen wir uns wahrscheinlich plötzlich verwirrt.
Die Menschen zu Jesu Zeit warten auf Erlösung – und denken dabei vor allem an die Erlösung aus der politischen Unterdrückung. Der erwartete Erlöser soll Frieden und Gerechtigkeit bringen für die einfachen Leute im kleinen römischen Provinz Judäa. Da denkt man viel mehr an einen erwachsenen Mann, der sich berufen fühlt die Freiheitsbewegungen zu leiten. Aber ein Baby? Wie soll es schaffen, Gerechtigkeit und Frieden zu bringen? Wie soll es schaffen, die Mächtigen zu stürzen und der einfachen Bevölkerung ein ruhiges, sicheres Leben zu ermöglichen? Für die Menschen, die zu der Zeit der Geburt Jesu gelebt haben, war ein Kind in der Krippe nicht nur eine Überraschung, sondern etwas, was einen völlig ratlos da stehen lässt. Ob es Hoffnung geben soll? Auf keinem Fall. Und auch wenn dieses Baby einmal der Anführer sein sollte, wie lange muss man da noch geduldig sein? Noch 20-30 Jahre? Eine so lange Wartezeit, wenn man schon jetzt das Gefühl hat, dass die Lage nicht auszuhalten ist, bringt statt Hoffnung eher Verzweiflung.
Und doch ist es so. Gott zeigt sich hier und jetzt, bei der Geburt Christi von seiner neuen, bisher unbekannten Seite. Er greift nicht plötzlich und mit Feuerwerk in den Lauf der Geschichte ein. Er lässt kein Manna vom Himmel regnen und lässt auch nicht das Meer zweiteilen, damit das Volk mit trockenen Füssen überqueren kann. Hier und jetzt schmiegt sich Gott in die Geschichte hinein. Er steht nicht über der Naturgesetze. Er will die Dinge nicht beschleunigen, sondern lässt alles sich im natürlichen Tempo entwickeln. Ein Baby kommt auf die Welt. Und am Anfang tut es noch nichts anderes als schlafen und trinken und kuscheln. Und wie Babys das so tun: sie schenken erstmal meistens keinen Frieden der Familie, sondern im Gegenteil, sie machen erstmal einen großen Chaos: sie gestalten das Leben der Familie völlig um. Ein Chaos, der auch Freude bringt, aber es ist keinesfalls leicht und nicht immer friedlich.
Dann wächst das Kind heran – und man merkt immer noch nicht, dass aus diesem Jungen einmal einer sein wird, der seinem Volk Frieden und Gerechtigkeit bringt. Und es sind schon so viele Jahre vergangen, 13-15-20. Er soll der Erlöser sein? Sollte es nicht schon ein Anzeichen dafür geben? Wie lange müssen wir noch warten?
Dann vergehen weitere Jahre, und der erwachsene Jesus tritt vor die Öffentlichkeit. Und wieder verhält er sich anders, als es von einem Erlöser erwartet wird. Er ruft nicht zum Kampf auf, sondern predigt über die Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen. Er hat eine andere Strategie, als die Freiheitskämpfer vor ihm in der Geschichte. Er zeigt einen friedlichen, gewaltlosen Weg zum Frieden. Und er baut auf das Dominoeffekt. Wer ihn hört, soll sich anstecken lassen von dieser Liebe und sie auch weitergeben. Wer ihn hört soll die Gewaltlosigkeit auf sich wirken lassen und dann ebenso handeln. Frieden, Liebe zueinander und Gerechtigkeit kommen so langsam aber mit gewaltiger Kraft in die Welt. Wie wenn man viele Dominosteine in langer Reihe aufstellt und dann den ersten Stein in der Reihe anstupst. Jeder einzelne Dominostein tut das seine dazu, damit die Bewegung weitergegeben wird.
Wenn wir heute ein kleines Baby in der Futterkrippe als Erlöser und Friedenstifter feiern, dann feiern wir, dass Gott den Frieden und die Gerechtigkeit nicht einfach von oben in die Welt setzt, sondern auch uns einbezieht und uns eine aktive Rolle gibt. Er handelt nicht wie ein Puppenspieler. Gott setzt auf den Dominoeffekt und braucht jeden von uns, damit Friede, Gerechtigkeit und Liebe zueinander unter uns verbreiten können.
Ob die Dominosteine deshalb eine der Köstlichkeiten auf dem weihnachtlichen Kekseteller sind, weiss ich nicht – auch Google ist da ziemlich ratlos. Aber wenn Sie das nächste Mal Dominosteine essen, denken sie daran, dass Sie auch eigeladen sind, Weihnachtsfrieden und Nächstenliebe weiterzugeben, wie die Dominosteine, die die Bewegung weitergeben.