Es ist schwer nach der vergangenen Woche Worte zu finden. Der 27. Jänner ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – und jedes mal erschreckt mich der Gedanke, wie Menschen es fertiggebracht haben, so durchdacht, diszipliniert und konsequent andere Menschen zu töten. Ohne das Wissen und Zustimmung von vielen wäre das gar nicht möglich gewesen. Hier ging es nicht nur um einen Verrückten, sondern um Massen, die jahrelang ihre Taten nicht hinterfragt haben.

Und dann kam, wie ein Refrain, der Satz: Nie wieder! Wir müssen uns erinnern, daran, was geschehen ist, an jeden einzelnen Menschen, der getötet worden ist, damit so etwas nie wieder passiert.

Doch, es passiert immer wieder – zwar im kleineren Ausmaß, aber mit derselben Motivation. Egal, wie schöne und berührende Feierlichkeiten wir gestalten, solange ein Mensch sich selbst für wertvoller hält, als andere Personen oder Gruppen, wiederholt sich die Geschichte immer wieder.

Diese Woche sind gut integrierte, in Österreich geborene und lebende Kinder in ihr sogenanntes Heimatland abgeschoben worden. Das Wort Heimatland muss man sich auf der Zunge erstmal zergehen lassen, es ist ja ein Wort, das Emotionen weckt und als Vorwand für viele grausame Taten dient.

Das Heimatland dieser Kinder war nicht das Land, von dem sie die Staatsbürgerschaft haben. Ihr Heimatland ist Österreich. Bis zum Zeitpunkt der Abschiebung sind sie jeden Tag in Österreich aufgewacht, sie sind mit der Bim in die Schule gefahren, wo sie auf Deutsch gelernt haben und in den Pausen vermutlich im Wiener Dialekt mit den Schulfreundinnen gelacht und geschwätzt haben. Sie sind dann nach der Schule vielleicht zum Bäcker gegangen und haben dort Semmel gekauft – nicht Brötchen, wie das die Nichtösterreicher ahnungslos tun. Ja, glauben Sie mir, wenn jemand mit noch so gutem Schuldeutsch vom Ausland kommt, wie ich damals in 2010, wird beim Bäcker täglich beschämt, weil man keine Ahnung hat, wie die Dinge im Pult auf Österreichisch heißen. Aber diese Kinder haben diese Erfahrung sicher nicht machen müssen, weil sie in Österreich zu Hause waren – zufälligerweise hatten sie ihren Reisepass von einem anderen Land.

Und plötzlich meint das Gesetz: Zu uns kommt nicht einfach jeder. Man muss es erstmal verdienen, hier zu sein. Es reicht nicht, dass man sich integriert, brav in die Schule geht, sogar ins Gymnasium. Es reicht nicht, wenn jemand perfekt Deutsch spricht und mit allen Fäden eines Lebens mit Wien und Österreich verbunden ist. Da fehlt noch was: die heilige Staatsbürgerschaft. Weil wir, die Besitzer der Staatsbürgerschaft sind wertvoller, als alle andere. Wir haben das Recht hier zu sein und andere nur dann, wenn wir es erlauben.

Was für eine Arroganz und was für eine Herzlosigkeit, wenn es dann Kinder trifft. Man stellt sich vor: Ein zwölfjähriges Kind wird unvorbereitet aus seinem Alltag gerissen und wacht plötzlich in einem Land auf, zu dem es keinen Bezug hat. Auch wenn es die Landessprache irgendwie spricht, kann ziemlich sicher dem Mathematik- oder Biologieunterricht in dieser Sprache nicht folgen, weil das mal was anderes ist, als mit den Eltern über den Alltag zu plaudern. Es ist weit von den Freundinnen und Freunden, weit von der gewohnten Schule, kennt niemanden und ist völlig verunsichert. Wer würde so etwas dem eigenen Kind antun? Und wenn man das nicht macht, wieso fühlt man sich berechtigt, das mit anderen Kindern zu machen, nur weil sie die „falsche” Staatsbürgerschaft haben?

Nichts, was wir aus der Vergangenheit überwinden wollten, ist überwunden. Es geschieht immer wieder, dass Menschengruppen sich über andere Menschengruppen stellen und herzlos handeln. Sie beziehen sich auf die Gesetze und delegieren damit die persönliche Verantwortung.

Der Wochenspruch dieser Woche trifft da perfekt: „Noch liegt Finsternis über der Erde, Dunkelheit bedeckt die Völker” – schreibt der Prophet Jesaja. Und er setzt fort: „Doch über dir erstrahlt der Herr, sein herrlicher Glanz scheint auf dich.” (Jesaja 60,2) Den Unterschied zwischen den Menschen macht nicht die Staatsbürgerschaft. Der Unterschied besteht darin, ob an einem das Licht von Gott erkennbar ist, ob man Licht und Hoffnung ausstrahlt und Gerechtigkeit tut – ob vom Glauben motiviert oder nicht. Ob jemand mutig ist, zu sagen, dass etwas gar nicht stimmt. Wenn wir Evangelische härter für den freien Karfreitag kämpfen, als gegen eine unmenschliche Migrationspolitik, dann ist unser Glaube nicht mehr als ein schönes Abendkleid für den Theaterbesuch.

Dass Jesus als Mensch in die Welt und in die menschliche Geschichte kam, bedeutet, dass Gott auch Einwanderer bei uns ist. Wie wir mit Menschen anderer Herkunft umgehen, wie wir über sie denken, zeigt wie wir über Gott denken. Wer Weihnachten feiert, sollte konsequenterweise auch offen sein für alle, die von weit weg kommen und eine Herberge suchen. Wer dem Stern von Betlehem folgt, sollte gegen Fremdenhass aufstehen und das Licht verbreiten. Nur so können wir uns schrittweise zu einer Welt nähern, die Gott gewollt hat und wo Gerechtigkeit über nationale Überheblichkeit steht.

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