Skandal!

Ich glaube, dass es Menschen gibt, die den Predigttext von dieser Woche am liebsten aus der Bibel streichen würden. Die Geschichte erzählt nämlich, wie Jesus sein erstes Wunder gemacht hat. Und wissen Sie, was dieses Wunder war? Nicht das Heilen eines Blinden, auch nicht eine Totenauferweckung oder eine Rettung aus einer lebensgefährlichen Notsituation. Nein, als erstes Wunder hat Jesus Wasser in Wein gewandelt und damit einer Hochzeitsgesellschaft einige Stunden mehr Alkoholrausch geschenkt. Eigentlich eine Sache, die man nicht gleich mit Glaube, Frömmigkeit und heiligem Leben verbindet.

So lesen wir im Johannesevangelium die Geschichte:

Und am dritten Tag war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war dort. Aber auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, sagt die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Und Jesus sagt zu ihr: Was hat das mit dir und mir zu tun, Frau? Meine Stunde ist noch nicht da. Seine Mutter sagt zu den Dienern: Was immer er euch sagt, das tut. Es standen dort aber sechs steinerne Wasserkrüge, wie es die Reinigungsvorschriften der Juden verlangen, die fassten je zwei bis drei Mass. Jesus sagt zu ihnen: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis oben. Und er sagt zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt dem Speisemeister davon. Und sie brachten es. Als aber der Speisemeister das Wasser kostete, das zu Wein geworden war, und nicht wusste, woher es war – die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es -, da ruft der Speisemeister den Bräutigam und sagt zu ihm: Jedermann setzt zuerst den guten Wein vor, und wenn sie betrunken sind, den schlechteren. Du hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das tat Jesus als Anfang der Zeichen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.

Gott im Genuss

Auch wenn es manchen Menschen erstmal überraschend klingt, Gott und Genuss – sie gehören zusammen.

Im dänischen Film „Babettes Fest“ bekommen wir Einblick in das Leben einer streng religiösen Dorfgemeinschaft. Die Gemeinde lebt nach der pietistischen Tradition, eine besonders fromme Form des Protestantismus. Die Töchter des Pfarrers heißen nach Martin Luther und Philipp Melanchthon Martina und Philippa. Die Menschen im Dorf leben sehr einfach und das aus religiösen Gründen. Sie wollen damit Gott gefallen. Leider gibt es aber – trotz einwandfreier Lebensführung auf der Oberfläche viele Konflikte und lieblose Beziehungen, worüber aber niemand spricht, weil es sich nicht gehört.

Das Leben im Dorf ändert sich, als einmal eine französische Frau, Babette ins Dorf kommt. Sie wird verfolgt und bittet um Aufnahme und Schutz, als Gegenleistung bietet sie die Haushaltsführung im Haus von Philippa und Martina an. Das kann sie gut, sie war in Paris Köchin in einem Restaurant. Die Geschwister führen Babette in die Geheimnisse der protestantischen Küche ein. Brotsuppe und Stockfisch – möglichst ungewürzt und ohne Schnickschnack sollen gegessen werden. An Abwechslung und Geschmacksexplosionen ist natürlich nicht zu denken. Babette hält sich an die Vorschriften, aber sie versucht behutsam doch etwas zu ändern. Sie pflegt gute Kontakte mit den Fischern und bekommt so feine Zutaten und sie fängt an, Kräuter und Gewürze zu nutzen.

Viele Jahre vergehen, als Babette einmal an der Lotterie eine große Summe gewinnt. Mit dem Geld könnte sie wieder zurück nach Frankreich, in ihre Heimat und dort ein neues Leben anfangen. Doch bevor sie geht, will sie noch ein Festmahl ausrichten. Sie bereitet alles sehr sorgfältig vor, bestellt die Zutaten direkt aus Frankreich. Lauter Exotisches soll aufgetischt werden. Die Aufregung breitet sich im Dorf aus – die Menschen spüren, dass etwas Außerordentliches im Gange ist. Sie beraten unter sich: auch wenn sie nichts gegen diese Einladung machen können, werden sie es nicht zulassen, dass durch das Essen und den Genuss der Teufel in ihnen Platz einnehmen kann. Sie werden alles essen, weil es sich so gehört, aber sie werden der Versuchung widerstehen und keine Sekunde das Essen genießen. Das wäre ja Sünde!

Und so fängt das Gastmahl an. Die Leute sitzen beim Tisch, als hätten sie einen Stock geschluckt. Die Gesichter sind regungslos, kein Lächeln ist sichtbar. Diese Menschen leisten was beim Essen: sie sind höflich und lassen das Essen nicht verschwenden, es ist aber ihrerseits ein Opfer. Schildkrötensuppe, Frutti di Mare in vielen Zubereitungsvarianten, Braten und alles was man sonst nur in Sternenrestaurants bekommt, lassen die frommen Gläubigen kalt.

Bei zwölf Gängen muss man aber auch was trinken und auch vom Wein gibt es natürlich nur das Beste an diesem Abend. Und langsam, Stück für Stück lockert sich die Stimmung. Die Masken der Frömmigkeit und Strenge fallen. Die Menschen beginnen das Essen zu genießen. Sie beginnen einander zuzuwenden. Sie zeigen Gefühle zueinander. Menschen, die ein Leben lang nichts anderes gemacht haben, als über Gottes Liebe zu philosophieren, spüren plötzlich Liebe und Leidenschaft. Und an diesem Abend, unter Einfluss von Alkohol, sind sie näher zu Gott, aber auch zu sich selbst und zueinander, als sonst irgendwann.

Glaube ist Leben

Wenn wir die Erzählungen über Jesus in den Evangelien lesen, finden wir relativ wenig Geschichten darüber, dass er in kalten und unbequem bestuhlten Gebäuden lange Reden hält. Er war unterwegs und hat Gespräche mit Menschen geführt – ganz oft beim Essen. Er war eingeladen, oder wenn es an Essen gefehlt hat, dann hat er Menschen gesättigt. Das Gespräch mit Zachäus, die Auferweckung von Lazarus, die Begegnung mit der Frau, die als erste verstanden hat, dass Jesus nicht mehr lange leben wird und ihn mit kostbarem Öl gesalbt hat: all diese Ereignisse sind beim gedeckten Tisch geschehen. Und Menschen haben plötzlich verstanden, dass Jesus ein besonderer Mensch ist, als er ihnen zu essen gegeben hat: bei der Vermehrung des Brotes, in der Hochzeit in Kana und bei seinen Erscheinungen nach seinem Tod, wo er das Brot gebrochen und den Jüngern Fisch zum Essen gegeben hat.

Weil Essen so viel mehr ist, als nur Kalorienzufuhr! Das mussten wir in den letzten Monaten ganz unmittelbar spüren. Wenn die Gastronomie zu ist, fehlt vor allem nicht das Essen, kochen kann man ja auch zu Hause. Wenn die Restaurants zu sind, fehlt die Möglichkeit mit Menschen zusammenzukommen, uns verwöhnen zu lassen, es fehlt die Freude, das Gefühl, dass der Moment zauberhaft und stimmig ist, es fehlt das Feiern.

Ja, Gott ist auch im Leiden da, aber es wäre schade, wenn wir ihn nur im Leiden suchen und entdecken würden. Gott ist in der Kirche, im sakralen Raum da, aber es wäre schade, wenn wir sie nur in einem bestimmten Gebäude suchen würden. Gott ist in der verborgenen Stube des einsamen Gebetes da, aber es wäre schade, ihn nur in der Einsamkeit zu suchen.

Gott ist nämlich auch in der Freude da und wenn wir feiern und alles vergessen, was uns belastet. Gott ist auch im Alltag da, im Wohnzimmer oder auf dem Berg, im Stau und im Café – überall, wo wir sonst sind. Und er ist vor allem in unseren Beziehungen da und wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind. Liebe kann man ja nicht in ihrer Fülle leben, wenn man alleine ist. Liebe braucht ein Gegenüber.

Eine unrealistische Phantasie

Dieses Erkenntnis könnte sehr mutige Konsequenzen haben. Kirchen würden vielleicht statt unbequeme Bankreihen Sofas und andere bequeme Sitzgelegenheiten haben, selbstverständlich nicht nach vorne gerichtet, sondern zueinander als Sitzgruppen. Gottesdienste wären keine Vorträge, sondern die Menschen würden ihre Erfahrungen und Geschichten miteinander teilen und dadurch im Glauben wachsen. Kirche wäre nicht mehr nur etwas für die ältere Generation und nicht nur für Menschen mit höherer Bildung, die es gewohnt sind, sich lange Auslegungen von Texten anzuhören. Ob diese Phantasien realistisch sind? Nein, sind sie nicht, genauso nicht, wie es nicht realistisch klingt, dass Wasser plötzlich guter Wein wird. Es wäre ein Wunder, aber auf genau dieses Wunder hoffe ich.

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