Seit der fünften Woche des Lockdowns kommt mir dieser Satz aus dem Psalm 13 immer wieder in den Sinn. Herr, wie lange noch? Wie lange dauert diese absurde Situation? Nicht, dass es nicht auch schöne Seiten hat, nicht, dass mein Leben dadurch nur schwer auszuhalten wäre – es gibt sogar Momente und Stunden, die ich ausgesprochen als Geschenk erlebe. Aber normal ist es sicher nicht und es fühlt sich komisch an, ständig in einer nicht näher definierbarer Unsicherheit zu leben.
Wie lange noch, bis ich Menschen ohne Hintergedanken die Hand reiche? Wie lange noch, bis wir wieder miteinander bei einem Tisch sitzen ohne dabei auf Abstand achten zu müssen? Wie lange, bis ich wieder gewohnt bin keine Kurve auf dem Gehsteig zu machen, wenn jemand entgegenkommt? Wie lange, bis ich wieder ohne eine Aussicht auf Quarantäne ins Ausland fahren und meine Familie besuchen kann?
Inzwischen lockert es sich wieder. Einkaufen gehen geht schon fast ganz wie gewohnt. Es sind wieder so viele Menschen unterwegs, wie sonst und die Fahrradwege sind auch schon hemmungslos vollgeparkt. Die Normalität ist in vielen Bereichen da. Aber weit nicht überall. Herr, wie lange noch, bis die Angst ganz verschwindet? Wie lange noch, bis ein Husten nur ein Husten ist und keinen Alarmsignal in den Menschen im 4-Meter-Umkreis auslöst?
Es ist ganz ungewöhnlich, keine Kontrolle über die Situation zu haben, zumindest nicht so viel, wie wir es uns wünschen. Wie lange noch? Das weiß niemand.
Die Erfahrung haben Menschen immer wieder in der Geschichte gemacht. Auch ein jüdischer Gläubiger, der den Psalm 13 das erste mal gebetet hat. Und weil er etwas Vergleichbares erlebt hat, ist es vielleicht gar nicht so schwer, dieses Gebet mitzusprechen:
„Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele
und mich ängsten in meinem Herzen täglich? (…)
Schaue doch, und erhöre mich, Herr, mein Gott!
Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe!”
Herzlich grüßt:
Ihre Pfarrerin David