Ein Jahr des permanenten Fastens haben wir hinter uns, seit einem Jahr bestimmt ein Virus unser Leben. Der Leidensdruck wird in der Gesellschaft spürbar größer – auch wenn die Gründe dafür teilweise unterschiedlich sind. Einige Familien sind von der finanziellen Seite der Krise mehr betroffen, andere durch Tod und Krankheit, wieder andere durch die kaum aushaltbare Arbeitsbelastung im Spagat von Home Office und Kinderbetreuung. In der Erfahrung des Leidens kann die Frage kommen: Warum lässt Gott es zu? Wo ist Gott, wenn ich leide?
Diese Fragen haben Menschen auch schon in früheren Zeiten beschäftigt, in der Bibel gibt es ein ganzes Buch, das genau auf diese Frage die Antwort sucht: das Buch Hiob. Hiob war ein frommer Mann mit tiefem Glauben, trotzdem hat er innerhalb von kurzer Zeit seine Frau, seine Kinder, sein Haus und all seinen Besitz verloren, dann wurde er selbst auch krank. Kein Wunder, dass er in völlige Verzweiflung stürzt und sogar den Tag seiner Geburt verflucht.
Er war aber nicht allein, er hatte immer noch Freunde. Sie wollten ihn trösten. Sie wollten ihm helfen, die Glaubenskrise zu überwinden. Sie haben versucht, Gott in all dem, was passiert ist, zu suchen. Doch, all das hat nicht geholfen. Die ganze Zeit reden Hiob und seine Freunde aneinander vorbei. Die Freunde wollen Hiob überzeugen, dass Gott immer ganz genau weiß, was er tut und dass es sicherlich etwas da ist, was Gott im Leben von Hiob bestrafen wollte. Sie loben Gottes unergründlichen Willen und ermutigen Hiob die Strafe ohne Klage auszuhalten, weil sicher alles einen Sinn hat und schließlich gut wird.
Kommt das alles Ihnen irgendwie bekannt vor? Ich selbst habe noch nie so viele fromme und sogleich nichtssagende Sprüche vom Sinn des Leidens und von den Entwicklungschancen, die im Leiden versteckt sind, gehört, wie in den letzten Monaten. Das Bedürfnis, das Schlimme schönzureden, ist enorm. „Am Ende wird alles gut, wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende“ – klingt erstmal gut, aber wenn ein Mensch gerade eine Krise durchsteht, kann so ein Satz einfach nur rücksichtslos und ein Zeichen vom fehlenden Mitleid sein.
Ein Mensch, der leidet, braucht keine klugen Sprüche und frommen Weisheiten – er braucht einen, der mitleidet und diesen Zustand mit ihm zusammen aushält. Das ist keine Erkenntnis der modernen Wissenschaft, sondern war auch schon im Buch Hiob die Kernaussage. Hiob kämpft nicht nur gegen seine eigene Verzweiflung, sondern auch noch dagegen, dass seine Freunde – die ja alle gut meinen – ihm das Einzige abstreiten, das er noch hatte: seine Überzeugung, dass er ein gutes Leben geführt und an Gott geglaubt hat. Hiob weiß in seinem Herzen, dass Glaube nicht ohne Zweifel sein muss und dass sein Gott auch die Klagen und Vorwürfe aushält. Und so spricht er alles von der Seele und achtet dabei nicht darauf, fromm zu klingen. Diese ehrliche Aussprache hilft dann schließlich und Hiob gewinnt seine Zuversicht wieder zurück. Er hadert mit Gott, lässt sich nicht mit billigen Weisheiten trösten, sondern geht ganz in die Tiefe. Nachdem er dann alles, was ihn drückte von sich ausgeschrien hat, findet er wieder seine Ruhe.
Das Buch endet damit, dass Gott die Freunde von Hiob tadelt, weil sie lauter Unsinn über ihn – Gott – erzählt haben, statt mal einfach da zu sein für einen, der Mitgefühl brauchte. Hiobs leben nimmt in den letzten Sätzen des Buches auch eine gute Wendung, er gründet wieder eine Familie, wird wieder reich und lebt ungewöhnlich lang. Das Ende ist also tatsächlich gut. Aber das bedeutet nicht, dass man mit dem guten Ende, das erst irgendwann in der Zukunft kommt, einen Menschen in der Gegenwart trösten kann und darf.
Das Buch Hiob ist sowohl für Leidende, als auch für Tröstende eine gute Lektüre. Wer leidet und gerade sprachlos ist, kann Worte finden, und zwar ehrliche. Wer statt Mitgefühl nur kluge Sprüche von gut meinenden Menschen gesagt bekommt, kann Stärkung finden, dass man angesichts dieser Klugheiten gerne gereizt werden kann und nicht verpflichtet ist, dafür sogar dankbar zu sein. Und Menschen, die sich berufen fühlen andere zu trösten, finden in der Geschichte von Hiob einen Spiegel, der ihnen zu reflektieren hilft: Helfe ich richtig? Helfe ich, damit es dem Anderen gut geht oder nur damit ich meine Spiritualität, und Weisheit in die Welt streuen kann?
Grafik: Persy