Es ist keine Geschichte und kein Lehrtext darüber, wie wir unser Leben gestalten sollen – sondern ein Gebet. Hiob denkt über das Leben und den Tod nach und teilt seine Gedanken, auch seine Sorgen mit Gott und betet so:

Was ist der Mensch, von einer Frau geboren? Sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast. Wie eine Blume blüht er und verwelkt, so wie ein Schatten ist er plötzlich fort. Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn!

Du musst doch wissen, dass er unrein ist, dass niemals etwas Reines von ihm ausgeht! Im Voraus setzt du fest, wie alt er wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen. Du selbst bestimmst die Grenzen seines Lebens, er kann und darf sie niemals überschreiten. Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe und gönne ihm sein bisschen Lebensfreude!

Für einen Baum gibt es noch eine Hoffnung: Wenn man ihn fällt, dann schlägt er wieder aus. Selbst wenn die Wurzeln in der Erde altern, der Stumpf im Boden abstirbt und verdorrt er muss nur ein klein wenig Wasser spüren, dann treibt er wieder wie ein junges Bäumchen. Doch stirbt ein Mensch, so ist es mit ihm aus. Wenn er gestorben ist, wo bleibt er dann?

Vielleicht geschieht’s, dass Ströme nicht mehr fließen, dass auch das Wasser aus dem Meer verschwindet; doch tote Menschen stehen nicht mehr auf, sie werden nie aus ihrem Schlaf erwachen. Noch eher stürzt der ganze Himmel ein!

Verbirg mich doch dort unten bei den Toten, versteck mich, bis dein Zorn vorüber ist! Bestimme doch, wie lang ich warten muss, bis du mir deine Güte wieder zeigst. Doch kommt ein Toter je zurück ins Leben? Ich hielte gerne diese Qualen aus, wenn ich auf bessere Zeiten hoffen könnte.

Du würdest rufen, ich dir Antwort geben. Du würdest wieder Freude an mir haben und daran denken, dass ich dein Geschöpf bin. Du würdest alle meine Schritte zählen, doch keine Liste meiner Sünden führen. Für immer würdest du die Schuld verschließen, du decktest alle meine Fehler zu.

 Liebe Gemeinde,

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber dieses Gebet von Hiob kommt mir heute und in den letzten Wochen wie aus der Seele.

Es tut erstmal gut, zu hören, dass ein Gebet nicht nur Lob und Dank oder auch Bitte sein kann, sondern auch einfach ein Hadern mit Gott. Gott hält es aus, wenn wir mal unsere Unzufriedenheit und Frust vor ihm ausbreiten.

Von Hiob wissen wir, dass er einerseits sehr fromm war und dass sein Glaube wirklich stark und lebendig war, andererseit wissen wir, dass er schreckliche Schicksalsschläge durchleben musste: den Tod seiner ganzen Familie innerhalb von kurzer Zeit und den Verlust von allem, was er hatte: Haus und Tiere und Besitz.

Und so lässt das Buch Hiob einen Einblick zu: was spielt in einem Menschen so ab, wenn er gläubig und trotzdem vom Schicksal geplagt ist. Ich glaube, diese Situation ist uns jetzt keine theoretische, sondern etwas, was uns unmittelbar betrifft. Auch, wenn wir nicht alles verloren haben, ist die Pandemie doch ein starker Einschnitt in unser Leben und etwas, was schon länger andauert und dadurch auch vielleicht unsere Reserven angreift – sowohl finanziell, als auch psychisch. Eine Schwierigkeit eine kurze Zeit auszuhalten, das geht meistens einem psychisch gesunden Menschen ganz gut. Aber wenn die Krise lange dauert und kein Ende in Sichtist , das kann sogar psychisch völlig gesunde Menschen angreifen. Was dann? Und was tut es mit unserem Glauben und mit der Hoffnung?

Hiob hadert mit Gott, weil er, ganz wie seine Glaubensgenossen im Judentum, nicht an der Auferstehung glaubt. Im Judentum gibt es die Vorstellung, dass der Mensch nur während des irdischen Lebens mit Gott in Verbindung steht, danach kommt der Mensch in eine Art Totenreich, wie es in der grischichen Mythologie Hades heißt. „Wer lobt dich, Gott, im Grab” – lesen wir in den Psalmen. Da liegt in diesem Satz derselbe Glaube versteckt. Hiob, der nicht an der Auferstehung glaubt, klagt, weil er meint, sogar die Bäume haben es besser, als Menschen. Sie können immer wieder neu austreiben, es reicht, dass der Wurzel in der Erde bleibt und ein bisschen Wasser spürt.

Ich denke, vieles, was Hiob in seinem Gebet aus dem Herz schüttet, können wir heute noch ganz gut mitsprechen. Ja, das Leben ist kurz und sogar diese kurze Zeit ist oft schmerzhaft und anstrengend. Auch der Wunsch, Gott soll uns bitte, ein wenig Lebensfreude gönnen, kommt leicht von der Zunge, auch gerade jetzt, wenn die Unbeschwertheit, die Leichtigkeit des Miteinanders, das Feiern und die Umarmungen fehlen.

Aber in einer Sache haben wir es doch besser, als Hiob. Als Christen und Christinnen dürfen wir daran glauben, dass der Tod uns nicht von Gott trennt (siehe Lesung Römer 8,31-39). Er trennt uns von vielem: von Menschen, die wir geliebt haben, von Dingen und von Tätigkeiten, die wir gerne gemacht haben, aber wir dürfen trotzdem mit Gott und bei Gott bleiben. Es ist ein anderes Leben, nicht einfach die Fortsetzung von diesem Leben hier, aber es ist ein neues Leben, unvorstellbar schön und perfekt. So gesehen geht es uns nicht schlechter, als einem Baum, der gefällt wird und dann später noch einmal austreibt.

Es gibt Gemälden, wo das Kreuz von Jesus als Lebensbaum dargestellt wird: Aus den Balken des Kreuzes wachsen Zweige und sie haben Blätter und Blüten: Das Kreuz bringt zwar den Tod, aber der Tod ist nicht so machtvoll, wie das Leben. Jesus und seine Botschaft sind kräftiger, sie überleben sogar den körperlichen Tod von Jesus. Schließlich bleiben die drei: Glaube, Hoffnung und Liebe, und die liebe ist die mächtigste von denen.

Auch lesen wir in der Bibel, dass Gott uns einmal alle tränen abwischt, und keinen Schmerz wird es geben. Hiob betet um Lebensfreude – und das ist so eine wichtige Bitte. Ohne Lebensfreude geht alles viel mühsamer. Wir dürfen darauf hoffen, dass Gott uns schließlich nicht einfach nur Lebensfreude gönnt, sondern sogar noch mehr, eine Freude, die unzerbrechlich ist. Diese Freude ist verwurzelt in der Hoffnung, dass uns von Gott nichts trennen kann, nicht mal der Tod.

Ich hielte gerne diese Qualen aus, wenn ich auf bessere Zeiten hoffen könnte.betet Hiob und mit ihm bete ich auch.

Es sind schwere Zeiten. Der November ist sowieso ein dunkler Monat, mit vielen Gedanken an den Tod und an die Verstorbenen – auch dann, wenn man in den Nachrichten nicht ständig über Infektionszahlen und Tote spricht. Dieses Jahr ist es noch mal schwerer. Auch ein gläubiger Mensch kann mal das Gefühl haben, dass es genug ist von den Strapazen und dass die Kraft zu wenig ist. Und sogar in das Gebet kann das einfließen – Gott hält auch mal Vorwürfe aus. Gleichzeitig hilft es daran zu denken, dass Gott verspricht: es kommen bessere Zeiten. Wenn alles gut geht, dann nicht nur in der weiten Zukunft, aber dort auf jeden Fall. Wir dürfen mit Hiob in seiner Verzweiflung sein und im Gebet mit Gott kämpfen, und gleichzeitig können wird uns freuen, dass wir doch etwas mehr Hoffnung haben, als Hiob: wir dürfen an Jesus Christus glauben, der uns aus dem Tod herausführt und uns ein neues Leben schenkt. Amen.

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